Uiguren (Uyghuren) in China flehten ihre Verwandten im Ausland an, sie nie wieder anzurufen. Denn das reicht, um in einem Lager interniert zu werden. Auch Gesichtserkennungssoftware könnte bald gegen die Muslime eingesetzt werden.
Vor etwa zwei bis drei Jahren hörten viele Uiguren (Uyghuren) in Deutschland zum letzten Mal von ihren Verwandten in Xinjiang (Uyghuristan). Inständig flehten Eltern ihre Kinder und Brüder ihre Schwestern im Ausland an, sie nie wieder anzurufen. Ein Dokument, das die Organisation Human Rights Watch am Mittwoch veröffentlicht hat, erklärt, warum. Die Excel-Tabelle umfasst die Namen von 2000 Insassen eines Umerziehungslagers in der nordwestchinesischen Stadt Aksu. In dem Dokument sind auch in bürokratischer Gründlichkeit die Gründe aufgelistet, warum die Betroffenen interniert wurden.
Im Falle einer Frau T. heißt es, bei ihr seien „Verbindungen zu problematischen Ländern“ festgestellt worden. Konkret nennt das Dokument vier Anrufe aus dem Ausland im März 2017. Neben der Dauer der Gespräche ist auch die Telefonnummer des Anrufers angegeben. Sie gehört der Schwester von Frau T., die im Ausland lebt. Ebenfalls genannt wird die Quelle der Informationen: eine Polizeidatenbank namens Integrated Joint Operations Platform (IJOP).
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch geht davon aus, dass die Datenbank die chinesischen Behörden automatisch informiert, wenn bestimmte Verhaltensweisen registriert werden, die als verdächtig gelten. Nach einem solchen Alarmsignal würden die Betroffenen häufig verhört, was wiederum häufig zu einer Internierung führe.
„Geboren nach 1980“
In einer früheren Analyse hatte Human Rights Watch die zu der Datenbank gehörige App durch sogenanntes Reverse Engineering analysiert. Demnach bündelt die Datenbank Daten aus verschiedensten Quellen und identifiziert Verdächtige auf der Basis von Algorithmen, die aus den Daten Persönlichkeitsprofile erstellen – ein Verfahren, das als „predictive policing“ bezeichnet wird. Die nun aufgetauchte Liste der Internierten aus Aksu scheint frühere Erkenntnisse zu bestätigen. Ein ähnliches Dokument aus der Stadt Karakax hatte nahegelegt, dass die Datenbank herangezogen wird, um darüber zu entscheiden, ob Internierte eines Lagers entlassen werden sollen.
Die neue Liste bestätigt abermals, dass harmlose Verhaltensweisen als Grund ausreichen, um in ein solches Lager gesperrt zu werden. Zum Beispiel: Kindern erlauben, den Koran zu lesen; ohne staatliche Erlaubnis nach Mekka pilgern; mehr Kinder zu haben, als laut Familienplanungspolitik erlaubt ist; das Mobiltelefon regelmäßig ausschalten, um sich der Überwachung zu entziehen.In Verbindung zu Menschen zu stehen, die sich in dieser Weise verhalten haben, kann ebenfalls zu Lagerhaft führen.
Papier verschwindet von Website
In manchen Fällen sei in der Spalte, die Auskunft über die Gründe der Internierung gebe, schlicht verzeichnet: „geboren nach 1980“. Human Rights Watch wertet das als Hinweis, dass weniger als 40 Jahre alte Uiguren (Uyghuren) generell stärker im Fokus der Kontrolle stehen. Die Aksu-Liste sei der Menschenrechtsorganisation vom uigurischsprachigen Dienst des amerikanischen Radiosenders Radio Free Asia übergeben worden. Die dortigen Journalisten sind bekannt dafür, dass sie in Xinjiang (Uyghuristan) besonders gut vernetzt sind.
Unterdessen tüfteln chinesische Technologieunternehmen offenbar an weiteren Instrumenten, um ethnische Minderheiten unter Kontrolle zu halten. Die Firma Huawei hat eine Gesichtserkennungssoftware getestet, die eine Warnmeldung an die Behörden sendet, wenn sich ein Uigure in ihrem Überwachungsbereich aufhält. In einem internen Huawei-Dokument, über das am Mittwoch die „Washington Post“ berichtete, wird dies als „Uiguren (Uyghuren)-Alarm“ bezeichnet.
Das Papier aus dem Jahr 2018 trage die Unterschriften mehrerer Huawei-Vertreter. Es betreffe eine Zusammenarbeit mit dem auf Gesichtserkennung spezialisierten Start-up Megvii. Huawei stellte die Kameras. Die Software sei darauf ausgerichtet, Geschlecht, Alter und ethnische Zugehörigkeit von Personen einzuschätzen. Ein Huawei-Sprecher sagte, es handle sich lediglich um einen Test. Die Applikation werde in der Realität nicht eingesetzt. Das Dokument fand sich auf Huaweis Website, wurde nach der Anfrage der „Washington Post“ jedoch entfernt.
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