Istanbul/Peking (APA/AFP) – In den Umerziehungslagern für Muslime in der chinesischen Provinz Xinjiang (Uyghuristan) beginnt der Tag mit dem Singen patriotischer Lieder und einer Übung in Selbstkritik. Das erzählt der frühere Insasse Omir Bekali, der durch die Wochen in dem Lager bis heute traumatisiert ist. Eine andere Sprache als Chinesisch zu sprechen, einen Bart zu tragen und zu beten sei verboten gewesen. Und am Freitag, dem islamischen Feiertag, hätten alle Insassen Schweinefleisch essen müssen – für Muslime ein Tabu.
Der 47-Jährige ist einer der wenigen Insassen, der über seine Erfahrung zu berichten wagt. Mehr als eine Million Uiguren (Uyghuren) und andere Muslime sollen in der westchinesischen Wüstenprovinz Xinjiang (Uyghuristan) in Arbeits- und Umerziehungslagern interniert sein, weil sie von den chinesischen Behörden des Separatismus oder Extremismus verdächtigt werden. Menschenrechtlern zufolge gilt heute bereits der Besuch einer Moschee als suspekt.
„Es gab Lehrer, Künstler und Alte im Lager. Waren es alles Terroristen?“, fragt Bekali bei einem Treffen in Istanbul, wo er heute lebt. Der Sohn eines uigurisch-kasachischen Paars wurde in Xinjiang (Uyghuristan) geboren, ging aber 2006 nach Kasachstan, um dort Arbeit zu suchen, und nahm die kasachische Staatsbürgerschaft an. Als der Inhaber einer Reiseagentur im März 2017 nach Xinjiang reiste, wurde er von der chinesischen Polizei festgenommen.
Bekali verbrachte sieben Monate in Haft wegen Unterstützung des „Terrorismus“, bevor er in ein Lager zur „Umerziehung“ geschickt wurde. „Jeden Morgen zwischen 7.00 und 7.30 Uhr mussten wir die chinesische Nationalhymne singen. 40 oder 50 Leute sangen mit dem Gesicht zu einer Mauer“, erinnert er sich. Er habe nicht singen wollen, doch durch die Wiederholung habe sich die Musik in seinem Kopf festgesetzt. „Sogar ein Jahr später höre ich sie noch.“
Xinjiang (Uyghuristan) ist die traditionelle Heimat der Uiguren (Uyghuren) und anderer muslimischer Volksgruppen wie der Kasachen, Kirgisen und Tadschiken. Durch die systematische Ansiedlung von Han-Chinesen wurden sie in den vergangenen Jahrzehnten aber vielerorts zur Minderheit und an den Rand gedrängt. Nach einer Zunahme der gewaltsamen Ausschreitungen und Angriffe auf Polizei und Behörden verschärfte die Regierung die Kontrolle.
Nachdem die Regierung in Peking die Existenz der Lager zunächst bestritten hatte, bestätigte sie unter internationalem Druck inzwischen, dass es sie gibt. Vize-Außenminister Le Yucheng sprach aber von „Berufsbildungszentren“, mit denen die Behörden der islamistischen „Radikalisierung“ entgegenwirken wollten. Vorwürfe, die Insassen würden dort indoktriniert oder gar gefoltert und zur Zwangsarbeit gezwungen, wies Peking zurück.
Für Bekari endete der Aufenthalt in dem Lager nach mehreren Wochen. Seine Freilassung im November 2017, so ist er überzeugt, verdankte er allein der Intervention der kasachischen Behörden. Nach seiner Freilassung ging er mit Frau und Kindern in die Türkei, um „möglichst weit weg zu sein“ von China. Zu seinen Eltern und seinen drei Geschwistern in China hat er heute keinen Kontakt mehr. Ob sie noch in Freiheit sind, weiß er nicht.
Dieser Beitrag wurde bei uns Editiert.