„Die Himmelstürmerin. Chinas Staatsfeindin Nr. 1 erzählt aus ihrem Leben“ ist eine Autobiografie von Rebiya Kadeer, die unter Mitarbeit der deutschen Journalistin und Autorin Alexandra Cavelius im Jahr 2007 im Wilhelm Heyne Verlag München erschienen ist. Rebiya Kadeer, geboren 1948 in den Bergen des Altai, beschreibt ihren Lebensweg als Uigurin, beginnend mit der Zeit der beginnenden Einwanderung von Han-Chinesen ab dem Jahr 1950 bis hin zu den Ereignissen rund um ihre Flucht aus dem Altai in die Stadt Aksu zehn Jahre später sowie deren Folgen.
Aus der Not geboren wurde sie Unternehmerin und schaffte es innerhalb weniger Jahre von der Wäscherin über den Holz- und Textilhandel zur ersten Millionärin Chinas und bis in den chinesischen Volkskongress.
Aber in Peking sind selbstbewusste und wirtschaftliche unabhängige Uiguren, die ihre Rechte einfordern, stets suspekt: Man beschuldigt Kadeer des Verrats von Staatsgeheimnissen und verurteilte sie zu fast acht Jahren Freiheitsentzug. Nach einer nicht enden wollenden Leidenszeit erfolgt dann 2005 die Ausweisung in die USA, wo ihre Verfolger aber wiederum präsent sind.
Fremde im eigenen Land
Rebiya Kadeer beschreibt in lebendigen Bildern die Verbundenheit ihres Volkes mit der Natur, das Leben mit dieser und die Zufriedenheit, die daraus erwächst, wenn man mit dem leben kann, was man hat. Im Gegensatz dazu steht die schmerzhafte Erfahrung der inneren Zerrissenheit seit dem Einmarsch der Chinesen, die begannen, die Wälder abzuholzen. Die Neuankömmlinge schienen keine Beziehung zu ihrer Umwelt zu haben. Es waren nicht nur Bäume, die ziellos abgeholzt wurden.
Die „Kulturrevolution“ hatte Blüten wie die gezielte Jagd auf Spatzen getrieben – Folge davon waren unter anderem Mückenplagen, die infolge der Ausrottung der Vögel Überhand nahmen. Es ist der Zustand des Getrenntsein des Individuums von der eigenen Führung (hidayah), den sie nachzeichnet, ein krankhafter Zustand, der immer dann entsteht, wenn eine Ideologie die inauthentische Rolle eines Religionsersatzes einnimmt, wie dies in China unter den Kommunisten Mao Tse-tungs der Fall war.
„Eine große Reise beginnt mit einem kleinen Schritt“
Das Buch dreht sich um die Rückerlangung der politischen Unabhängigkeit der Uiguren. Kadeer befürchtet nichts weniger als die Ausrottung der Uiguren und ihrer Kultur. Von den aktuell 19 Millionen Einwohnern der Provinz Xinjiang sind bereits 7,5 Millionen Han-Chinesen, deren Ziel nach Überzeugung der Uiguren darin besteht, die einheimische Bevölkerung ihrer geistigen und materiellen Lebensgrundlagen zu berauben. Dass die Zuwanderung der Han-Chinesen im kommunistischen Riesenreich nicht etwa Folge einer natürlichen Wanderungsbewegung war, sondern gezielte Folge einer Besiedelungspolitik durch die Regierung, spricht für die Richtigkeit dieser These.
Es gibt immer wieder willkürliche, aus nationalistischen Vorurteilen gespeiste Übergriffe auf die uigurische Bevölkerung mit Hunderten Toten – die Berichte über ihre Erlebnisse im Gefängnis sind, was die Brutalität gegenüber den Uiguren angeht, schon fast jenseits des Beschreibbaren. Wie also das so fern liegende Ziel der Unabhängigkeit erreichen? Rebiya zitiert wiederholt ihren Vater mit den Worten: „Eine große Reise beginnt mit einem kleinen Schritt“ und „Du gehörst nicht uns, die gehörst dem Volk“.
Die Energie und das Durchhaltevermögen dieser Frau weisen sie als starke und weise Führerin ihres Volkes aus: Eine Rolle, die sie sich selber nicht ausgesucht hat, die sie jetzt aber seit Jahrzehnten bravourös auszufüllen vermag.
Trotz aller Auseinandersetzungen mit dem politischen System Chinas ist das Buch frei von Groll oder Hass gegenüber dem chinesischen Volk; es herrscht ein wahrhaftiger, angenehmer und liebevoller Ton im Buch, was die Lektüre zu einer lehrreichen und zugleich emotionalen Erfahrung macht.
Aktuelle Ereignisse rücken Situation der Uiguren wieder in den Fokus
Uigurien, das ehemalige Ostturkestan, im Nordwesten Chinas gelegen, tauchte in den vergangenen Wochen im Zusammenhang mit einem Terroranschlag in der Stadt Kunming, einer Provinzstadt in der Nähe von Peking, wieder in den Schlagzeilen auf. Ein grausames Gemetzel mit Messern und Macheten, ausgeführt von Maskierten, kostete 33 Menschen das Leben, 130 wurden verletzt. Sicherheitskräfte beschuldigten umgehend uigurische Terroristen aus der Provinz Xinjiang – so die chinesische Bezeichnung für das Land der Uiguren.
Auch wenn die Schuldigen noch gar nicht identifiziert oder verurteilt worden sind, steht für die Propagandamaschinerie des Regimes in Peking der Hintergrund schon fest. Bereits 2001 hatte China nach den Anschlägen vom 11. September eine verschärfte Kontrolle über das Gebiet verhängt. Eine gute Gelegenheit, um eventuelle „Rechnungen“ unter dem Vorwand des „Krieges gegen den Terror“ zu begleichen. Die Berichterstattung folgt auch hier wieder nach dem Stereotyp vom „bösen Muslim“.
Macht über Osteuropa ließ Stalin Ostturkestan aufgeben
Das Gebiet Ostturkestan sah sich speziell in der Mitte des 19. Jahrhunderts dem Interessenkonflikt zwischen Russland und China ausgesetzt. Beide Länder führten blutige Kriege, um ihren Einfluss in der Region durchzusetzen. Bis zum Zweiten Weltkrieg stand das Gebiet unter starkem sowjetischem Einfluss und es kam immer wieder zu bewaffneten Aufständen gegen die chinesische Provinzverwaltung. Nach Absprachen mit den Briten und der Erweiterung des sowjetischen Einflusses auf Osteuropa gab Stalin seinen Einfluss in Ostturkestan nach dem Krieg auf. Es entstand ein Machtvakuum in Ostturkestan, das die Chinesen gern füllten. Wie sich herausstellte, ist das Gebiet reich an Rohstoffen wie Uran, Erdgas, Erdöl und Gold.
Ab 1960 unternahm die Volksrepublik China Atombombenversuche auf dem Testgelände von Lop Nor, ebenfalls in der Region Xinjiang gelegen – mit den üblichen gesundheitlichen Folgen für die uigurische Bevölkerung.