Ob Angela Merkel bei ihrem Staatsbesuch in Peking auch über die Meinungsfreiheit und das Internet redet? Es wäre nötig, wie eine Zensur-Studie zeigt.
Wenn Angela Merkel heute, am Donnerstag, in Peking eintrifft, werden wohl auch Gespräche über die chinesische Netzpolitik auf dem Programm stehen. Chinas Internetbehörde ist für ihre Zensur berüchtigt. Auch in Deutschland ist netzpolitisch nicht alles Gold – schon gar nicht, nachdem das EU-Parlament am Dienstag das Ende der Netzneutralität beschloss, nach der alle Daten gleichberechtigt übertragen werden müssen. Mit dieser Entscheidung sind in Europa die Grundlagen für ein Zwei-Klassen-Internet gelegt. Dennoch liegt Deutschland, was die Freiheit im Netz betrifft, nach einer Studie der amerikanischen Organisation „Freedom House“ international immerhin auf Platz vier (nach Island, Estland und Kanada). China hingegen landete noch hinter Iran und Syrien auf dem letzten Platz.
65 Nationen wurden für die Studie untersucht. Insgesamt verzeichneten die Forscher eine Verschlechterung der Lage: Mehr Regierungen als zuvor zensieren Inhalte, weiten Überwachung aus und gehen gegen Anonymisierungstools vor. Eine Entwicklung ist besonders besorgniserregend: „Immer häufiger zwingen Regierungen Privatpersonen und den privaten Sektor, kritische Inhalte offline zu stellen oder zu löschen, anstatt sich auf Blockier- und Filter-Maßnahmen zu verlassen“, sagt die „Freedom House“-Projektleiterin Sanja Kelly. Man traue den Usern inzwischen zu, sich technisch gut genug auszukennen, um die Filtermaßnahmen zu umgehen.
Verhaftet für 28 Tweets
Das ist durchaus realistisch: Auch wenn in China Angebote wie Twitter und Facebook gesperrt sind, weiß ein großer Teil der jüngeren, internetaffinen Bevölkerung, wie man die Sperre mittels VPN („Virtual Private Network“) umgeht. Inzwischen geht China deshalb immer stärker gegen VPN-Clients vor, die ihrerseits ständig nachrüsten müssen. Im Januar 2015 erfuhr die „Great Firewall“ ein entsprechendes Update.
Für viele nationale Dienste wie Chats, Foren und Blogs gilt Klarnamenpflicht. Einen direkten Zugang zu den sensibelsten Nutzerdaten hat die Regierung bei allen Telekommunikationsunternehmen schon seit November 2014. Doch China blockiert und überwacht nicht nur, China geht in die Offensive: Wer populäre Seiten wie etwa Google besucht, muss damit rechnen, gefälschten Sicherheitszertifikaten aufzusitzen und daher Angriffen ausgesetzt zu sein.
Diesen Gesetzen folgen Taten: Der Bürgerrechtsanwalt Pu Zhiqiang wurde 2014 in Peking wegen „Streitsucht“ verhaftet und angeklagt. Die Anklage wirft ihm Aufruhr, Rassenhass und Separatismus vor – basierend auf 28 Posts, die er auf Weibo – dem chinesischen Twitter – absetzte. Inzwischen ist auch Pu Zhiqiangs Name Gegenstand der Zensur und darf im chinesischen Netz nicht mehr genannt werden. Auch ohne Anklage bleibt er in Haft. Die Journalistin Gao Yu, die für die Deutsche Welle gearbeitet hatte, ist zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Sie habe ein vertrauliches staatliches Dokument an eine ausländische Website weitergereicht, behauptete die Anklage.
Bitte keine Kritik, bitte keine Satire
Gut 61 Prozent der Internet-Nutzer leben in Ländern, in denen sie mit Einschränkungen und Zensur rechnen müssen, wenn Kritik an Regierung, Militär oder einer Herrscherfamilie laut werden. Auch Informationen über bestimmte Konflikte – im Falle Chinas reichte schon die Erwähnung der Studentenproteste in Hongkong – fielen darunter, in anderen Ländern reagiert man eher auf religiöse oder gesellschaftliche Themen sowie auf Satire. 58 Prozent der Nutzer leben unter Bedingungen, in denen Blogger durch Haftstrafen bedroht sind, das sind vierzig der 65 Staaten, zwei mehr als im Vorjahr. Viele Staaten, auch Demokratien, gingen gegen Anonymisierungstools vor, gerne unter dem Hinweis, sie ermöglichten Terrorismus.
Auf Platz 49 von 65 liegt Russland, das seit 2013 kräftig abrutscht. Mit dem Beginn des Urkraine-Konflikts begann eine Reihe von Maßnahmen: Zensur von Inhalten, Verschärfung von Strafen (für „Extremismus“ und „Aufwiegelung zum Hass“) sowie vermehrte Strafverfolgung von Internetnutzern für das Verbreiten regierungskritischer Inhalte. Die Türkei landete auf Platz 46 und gilt damit gerade noch als „teilweise frei“. Dennoch wird regierungskritischer Inhalt stark verfolgt: in der ersten Hälfte des Jahres war die Türkei für 92 Prozent aller Gerichtsbeschlüsse zur Sperrung von Inhalten auf Twitter verantwortlich – die Plattform erfuhr nach den Gezi-Protesten 2013 einen großen Popularitätsschub.
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/netzfreiheit-in-china-funktioniert-die-zensur-am-besten-13881067.html